Schlagworte wie Industrie 4.0, Internet der Dinge, Big Data, New Work oder digitale Transformation sind mittlerweile allgegenwärtig geworden. Laut einer Studie von McKinsey sehen 91 Prozent der Produktionsunternehmen in Deutschland die Digitalisierung als Chance. Eine dabei gerne vernachlässigte Kernfrage ist jedoch, wie sich dieser Trend eigentlich auf die Mitarbeiter auswirkt.
Manch einer fragt sich, ob die Digitalisierung nur eine Modeerscheinung ist. Schließlich gilt zunehmende Produktivität durch Mechanisierung, Arbeitsteilung und Automatisierung seit Beginn des Industriezeitalters ein kontinuierlicher Prozess. Neu ist zum jetzigen Zeitpunkt, dass technologische Intelligenz Entscheidungsprozesse autonom bzw. selbstständig steuern kann. Das hat zur Folge, dass menschliche Entscheidungen nun mit jenen, die durch künstliche Intelligenzen getroffen werden, koexistieren. Technologie ist damit nicht mehr nur Hilfsmittel, sondern ein weiteres Element in unserem Arbeitssystem.
Doch betrachten wir den Begriff Industrie 4.0 zunächst einmal genauer: Mit Industrie 4.0 wird die zunehmende Verknüpfung von digitaler und physischer Welt bezeichnet. Oder anders gesagt: Die Verschmelzung von Produktion und IT. Dieser Trend ist vor dem Hintergrund von Produktivität und Effizienz vor allem für Industriebetriebe sehr interessant. Innovative Ideen in diesem Bereich sind flexible Fabriken, vertikale & horizontale Integration sowie Vereinfachung und Automatisierung der Arbeit, zum Beispiel durch Assistenzsysteme. Durch individuellere Produkte ergeben sich gleichzeitig Vorteile für den Verbraucher.
Anforderungen und Berufsbilder haben sich bereits verändert.
Studien, wie zum Beispiel die des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung prognostizieren, dass 60 Prozent der Berufe in Deutschland vom technologischen Wandel betroffen sind. Durch diese Entwicklung wird sich die Arbeitswelt tiefgreifend verändern. Erste Auswirkungen sind bereits erkennbar. Fakt ist, dass durch die Technologisierung ganze Wertschöpfungsketten und Berufsbilder verschwinden, sich verändern oder neu entstehen können. So wird zum Beispiel der Steinmetzberuf, einer der ältesten Berufe weltweit, langsam durch den neuen Ausbildungsgang „Werksteinmechaniker“ ersetzt. Im Gegensatz zum Steinmetz bearbeitet der Werksteinmechaniker die Steinrohlinge nicht selbst, sondern ist ausschließlich dazu da, entsprechende Maschinen zu programmieren, die die Steinbearbeitung dann vollautomatisch durchführen. Ähnliche Beispiele wie dieses, bei denen das traditionelle Berufsbild und die heutige Wirklichkeit nicht mehr zusammenpassen, gibt es viele. In der FAZ war vor einigen Monaten zu lesen, dass der heutige Bankkaufmann aufgrund moderner Technik nur noch wenig mit dem zuletzt 1997 geänderten Berufsbild zu tun hat. Folgerichtig möchten Eltern und junge Menschen wissen, welche Ausbildung noch langfristig Sicherheit bietet während (ältere) Arbeitnehmer sich möglicherweise fragen, wie lange sie noch Schritt halten können.
Zentrale, aber oft vernachlässigte Fragen sind deshalb: Wie kann ich mich auf den digitalen Wandel vorbereiten? Und welche Folgen hat die Digitalisierung für mich?
In Kombination mit den Merkmalen der Wissensgesellschaft und Globalisierung, oder konkret gesagt mit der sinkenden Halbwertzeit des Fachwissens, steigt der Druck auf den Einzelnen an, sich um seine Arbeitsmarktfähigkeit selbst zu kümmern. Employability ist hier das Stichwort, oder auf Deutsch: Beschäftigungsfähigkeit. Damit ist die Fähigkeit gemeint, am Arbeitsmarkt teilhaben zu können. Voraussetzung dafür sind natürlich entsprechende Kenntnisse und Qualifikationen, die derzeit aber einem immer schnelleren Wandel unterliegen und deshalb auch immer mehr Eigeninitiative erfordern.
Zukünftig ist zu erwarten, dass Routinetätigkeiten mehr und mehr abnehmen, während gleichzeitig planende bzw. steuernde Tätigkeiten zunehmen. Ganz neue Tätigkeitsfelder werden entstehen und andere verschwinden. Hier droht eine Falle: Zwar erleben wir schon heute, dass sich Belastungen und Anforderungen verändern, bewegen uns aber vielleicht noch gerne bei dem, was wir tun in altbewährten Strukturen. Wir laufen dadurch Gefahr, den Anschluss an die moderne Arbeitswelt zu verlieren. „Digitale Fitness“ ist daher nicht nur für Unternehmen wichtig, sondern betrifft jeden.
Was leitet sich daraus für den Einzelnen ab?
Für jeden Einzelnen von uns bedeutet das deutlich mehr Selbstverantwortung, zum Beispiel für die eigene Weiterbildung und Qualifikation im Umfeld der neuen Technologien. Dazu gehören auch der Umgang mit Komplexität, zeitlicher Dynamik sowie die Handhabung, Analyse und Interpretation großer Datenmengen.
Zwangsläufig bringt die Digitalisierung auch eine zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeit mit sich. Der Umgang mit der Ressource Zeit muss deshalb ebenso geübt sein wie das Bewusstsein für die Notwendigkeit der eigenen Regeneration. Selbstführung und Selbstmanagement sowie die eigene Gesundheitskompetenz sind hier wichtige Handlungsfelder. Insgesamt gilt: Entspannung zulassen können; Produktivität durch Unproduktivität entwickeln. (Link zu Blogbeitrag über mentale Fitness)
Ein weiterer spannender Aspekt ist die immer größere Wichtigkeit von kommunikativen Kompetenzen bzw. deren Voraussetzung, der Empathie. In vielen Berufen wird vermutlich durch zunehmende Automatisierung und Komplexität eine Verlagerung der Tätigkeiten zu mehr Kundenberatung erfolgen. Das klingt zunächst paradox, resultiert jedoch aus der wachsenden Erklärungsbedürftigkeit von Produkten und Dienstleistungen. Wo menschliche Tätigkeit weniger offensichtlich ist, steigt das Bedürfnis nach Erklärung. In der Kundenberatung (und nicht nur dabei) ist Empathie deshalb eine Schlüsselkompetenz, die zukünftig eine immer größere Rolle spielen wird. Und ja, Empathie lässt sich üben. Eine sehr einfache Möglichkeit ist das Lesen von Romanen mit komplexen Charakteren und der Beschreibung von inneren Dialogen, die deren Handlungen begleiten. Das Hineindenken in die inneren Motive und Gedanken von Personen, gleich ob real oder fiktiv, schult die empathische Wahrnehmung.
Letztlich bietet Industrie 4.0 nicht nur für Ingenieure oder ITler Chancen, sondern für alle innovativ und kreativ denkenden Köpfe. Denn die Digitalisierung bringt nicht nur die bloße Einführung digitaler Prozesse mit sich. Vielmehr verändern sich ganze Geschäftsmodelle, was wiederum besondere Expertise erfordert – zum Beispiel im Bereich Marketing und Business Development. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Unternehmen wird damit an Bedeutung weiter zunehmen; eine Unternehmenskultur der Zusammenarbeit wird vielleicht gar zum Wettbewerbsvorteil. Für den Einzelnen leitet sich daraus umso mehr die Besinnung auf die eigenen Werte ab. Je höher die Komplexität, desto wichtiger werden die eigenen Werte als Maßstab für die Orientierung und das eigene Handeln.
Analoges und Digitales sind nicht zwei Seiten einer Medaille.
Zum Abschluss ein kleines Experiment: Schreiben Sie einen Text lieber analog oder digital? Genießen Sie den wohltuenden Effekt, wenn Text aus dem Handgelenk über den Stift auf ein Blatt fließt? Zumindest für mich persönlich ist der erste Rohentwurf bzw. Gliederung eines Textes meist in handschriftlicher Form. Trotzdem kann ich mich der Digitalisierung nicht entziehen und nutze Tools wie Evernote oder Scrivener und erziele damit deutliche Produktivitätsfortschritte.
Um in der sich digitalisierenden Arbeitswelt nicht den Fokus zu verlieren, sind also zwei Vorgehensweisen miteinander in Einklang zu bringen:
Zum einen das „Schritt-halten-Können“. Lassen Sie sich auf die Möglichkeiten ein, die Industrie 4.0 mit sich bringt. Eignen Sie sich, wo nötig, neue Kenntnisse und Fähigkeiten an und sehen Sie den technologischen Fortschritt dort als Vorteil, wo er Ihnen das (Arbeits-)leben erleichtern kann.
Zum anderen sollten Sie sich aber nicht zum Sklaven machen. Sind Sie vom Smartphone gesteuert? Nutzen Sie es zur Selbstüberwachung oder bringen die vielen Funktionen und Features Ihnen Erleichterungen? Trennen Sie Arbeit und Privatleben? Lassen Sie sich von elektronischen Geräten steuern oder haben Sie die Oberhand darüber? Denken Sie darüber nach!