Fremdbild-Selbstbild

Selbst- und Fremdbild abgleichen – Wie wirke ich auf andere?

Vor einigen Wochen wurde Thomas von seinem Chef gebeten, auf einer internen Kundenveranstaltung einen Vortrag über ein besonders komplexes Kundenprojekt zu halten. Thomas investiert viel Zeit in die Recherche, stellt eine Präsentation auf die Beine und bereitet sich insgesamt sehr gut vor. Dennoch hat er während der Präsentation das Gefühl, sich oft zu verhaspeln, sehr aufgeregt zu wirken, den Faden zu verlieren und insgesamt keine besonders gute Leistung zu bringen. „Vorträge zu halten war ja sowieso noch nie mein Ding“, geistert es in seinem Kopf herum. Umso überraschter ist er, als nach der Veranstaltung einige der Teilnehmer und sogar sein Chef zu ihm kommen, ihm anerkennend auf die Schulter klopfen und ihn für seine souverän vorgetragene Präsentation loben. Thomas‘ eigene Wahrnehmung war offensichtlich ganz anders als die der Teilnehmer. Wie kann das sein?

Selbst- und Fremdbild. Eine Symbiose zur Selbsterkenntnis.

Thomas Selbst- und Fremdbild lagen offensichtlich weit auseinander. Um diese Diskrepanz zu erklären, muss man wissen, wie Selbst- und Fremdbild eigentlich entstehen: Das Selbstbild formt sich unter anderem in den ersten sieben Lebensjahren, einer Zeit, in der wir noch kaum eine feste Meinung über unsere eigene Persönlichkeit haben. Ansichten und Meinungen von Außenstehenden über unser Selbst werden in dieser Phase von uns übernommen und modellieren auf diese Weise das Bild des eigenen Ich. Das Selbstbild entsteht also sozusagen durch ein Fremdbild, das weitestgehend unhinterfragt adaptiert und akzeptiert wird. Wenn also Außenstehende in unseren ersten Lebensjahren über uns urteilen, dass wir keine begnadeten Redner und sowieso immer zu aufgeregt sind, nehmen wir das in unser Selbstbild auf – und fangen an, daran zu glauben.

Im Laufe der Jahre werden wir so an unser Selbstbild gewöhnt, dass es wie ein Filter auf unsere Wahrnehmung wirkt. Da wir von diesem Bild, das wir von uns haben, nur ungern abweichen, verhalten wir uns schließlich instinktiv auch so. Das trifft auch auf Thomas zu: Er glaubte über sich zu wissen, dass er kein guter Präsentator ist und deutliche Anzeichen von Aufregung ausstrahlen würde. Er kam nicht auf die Idee, dass man ihm seine Aufregung vielleicht gar nicht anmerkt und die Fähigkeit, komplexe Themen einfach zu erklären, zu seinen Stärken zählt. Außenstehende, wie in diesem Fall die Präsentationsteilnehmer, wussten von diesem Selbstbild nichts. Sie sahen einen souverän auftretenden Redner, der kompetent einen interessanten Vortrag hielt.

In wenigen Schritten Selbst- und Fremdbild ermitteln.

Für Ihr Auftreten im Beruf, bei Vorstellungsgesprächen oder Gehaltsverhandlungen ist es sehr wichtig, dass Sie Ihr Selbstbild kennen und es gegebenenfalls an der einen oder anderen Stelle der Realität anpassen. Ermitteln können Sie Ihr Selbstbild ganz einfach in wenigen Schritten.

Schritt 1: Das Selbstbild

Im Coaching verwende ich einen Fragebogen (erhalten Sie auf Nachfrage von mir) mit einer Reihe von Merkmalen bzw. Charaktereigenschaften, die typischerweise im Beruf oder in Stellenanzeigen gefordert werden. Beispiele für solche Eigenschaften sind Adjektive wie empathisch, selbstsicher, verhandlungsstark, kooperativ, offen, pünktlich, zuverlässig, kreativ, diszipliniert, eigenständig oder auch teamfähig

Anschließend gehen Sie wie folgt vor:

  • Bei jedem Merkmal schätzen Sie für sich selbst ein, wie stark dieses bei Ihnen ausgeprägt ist.
  • Seien Sie aufrichtig gegenüber sich selbst, um ein möglichst objektives Ergebnis zu erhalten.
  • Gehen Sie vom Normalfall aus, d.h. von einer eher mittleren Ausprägung. Eine Einschätzung darüber oder darunter bedeutet, dass eine Eigenschaft bei Ihnen deutlich geringer oder deutlich stärker ausgeprägt ist als bei anderen.
  • Unterstützend kann sein, sich konkrete Situationen in Erinnerung zu rufen, in denen Sie die jeweilige Eigenschaft gezeigt haben.

Wichtig: Die Ausprägungsgrade stellen keine Wertung von gut oder schlecht dar. Die Interpretation, ob eine Ausprägung vorteilhaft oder nachteilig ist, kann nur im Kontext mit den Anforderungen einer konkreten Aufgabe oder Situation bewertet werden.

Schritt 2: Das Fremdbild

Nun geht es an die Ermittlung Ihres Fremdbildes. Dafür folgen Sie diesen Schritten:

  • Bitten Sie eine oder mehrere Personen (Empfehlung: 3 bis 5) um eine Einschätzung Ihrer Person anhand des o.g. Fragebogens.
  • Die ausgewählten Personen sollten Menschen Ihres Vertrauens sein, die Sie gut genug kennen, um den Ausprägungsgrad auch wirklich einschätzen zu können. Solche Personen sind Lebenspartner, Freunde, Kollegen oder auch ältere Kinder. Eventuell zählen hierzu auch Personen, die nach Ihrer eigenen Auffassung eher kritisch sind.
  • Diese Personen sollen nun ebenfalls den Ausprägungsgrad der Merkmale, bezogen auf Ihre Persönlichkeit, einschätzen.

Nach diesen beiden Schritten liegen verschiedene Sichten vor. Das Ergebnis sollten Sie nun für sich aufbereiten, zum Beispiel in verschiedenen Farben auf einem gesonderten Blatt in Kurvenform. Ziel ist die Identifikation von Übereinstimmungen und Abweichungen.

Schritt 3: Die Auswertungsgespräche

Jeder Feedbackgeber nimmt Sie nicht nur anders wahr, sondern hat auch seine eigene Definition der in den Fragebögen abgefragten Merkmale und Eigenschaften. Um diese Sichtweisen zu klären empfiehlt es sich, mit jedem Feedbackgeber ein Auswertungsgespräch zu führen.

Sie erhalten mit den Rückmeldungen von Ihren Feedbackgebern ein Geschenk in Form einer offenen und ehrlichen Rückmeldung. Diese gilt es entsprechend wertzuschätzen. Daher empfehle ich eine sehr gute Vorbereitung auf die Auswertungsgespräche:

  • Planen Sie ausreichend Zeit für Vorbereitung und Gesprächsführung ein.
  • Bewahren Sie Ruhe und bleiben Sie aufmerksam.
  • Seien Sie sich im Klaren, dass die Ergebnisse kein Werturteil sind, sondern Hinweise auf Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Vermeiden Sie Erklärungen oder Rechtfertigungen.
  • Hören Sie aufmerksam zu und stellen Sie Fragen zum Verständnis.
  • Bedanken Sie sich für das „Geschenk“ – vielleicht mit einer kleinen symbolischen Geste der Wertschätzung.

Suchen Sie sich eine ungestörte und angenehme Umgebung und lassen Sie sich erläutern, wie er/sie zur jeweiligen Einschätzung gekommen ist. Fragen Sie nach möglichst konkreten Beispielen. Hilfreiche Fragen für dieses Gespräch sind beispielsweise:

  • In welchen Situationen lässt sich das beobachten?
  • Gibt es Beispiele für diese Eigenschaften?
  • Wie verhalte ich mich in solchen Fällen?
  • Was sage oder tue ich typischerweise?
  • Handelt es sich um einen einmaligen Fall oder kommt das häufiger vor?

Mit zusätzlichen Fragen können Sie Ihr Fremdbild weiter untersuchen:

  • Was kann ich Deiner Meinung nach wirklich gut?
  • Wo bin ich vielleicht sogar besser als der Durchschnitt?
  • Womit habe ich Dich schon mal beeindruckt?
  • Welche Aufgaben würdest Du mir bedenkenlos zutrauen?

Notieren Sie die Antworten für eine spätere Auswertung.

Schritt 4: Finale Auswertung und Schlussfolgerungen

Durch den Vergleich Ihrer Selbsteinschätzung mit den Aussagen Ihrer Feedbackgeber haben Sie nun einen Anhaltspunkt, wo Selbst- und Fremdwahrnehmung bei Ihnen auseinanderdriften. Sie sehen, wo mögliche Stärken von Ihnen liegen, die Sie vielleicht in dieser Form noch nicht wahrgenommen haben, und welche Eigenschaften Sie noch verbessern können. Stellen Sie dafür folgende Überlegungen an:

  • Was weiß ich schon über mich und was ist möglicherweise neu?
  • Was für Schlussfolgerungen leite ich daraus für mich ab?
  • Will oder kann ich etwas verändern?

Gehen Sie systematisch vor und verschriftlichen Sie Ihre Gedanken. Auf diese Weise erhalten Sie eine Rückkopplung, welche für Ihr Bild von sich selbst außerordentlich bereichernd sein kann.

Ein realistisches Selbstbild ist eine Stärke.

Seine eigene Persönlichkeit besser zu kennen und nicht länger auf ein durch äußere Meinungen geformtes Selbstbild hereinzufallen, ist im beruflichen Kontext sehr wertvoll. Je besser Sie sich selbst kennen, desto deckungsgleicher werden Selbst- und Fremdwahrnehmung. Somit befinden Sie sich nicht mehr in der Situation, sich auf Ihre eigene Wahrnehmung bzw. auf das, was Sie von sich selbst glauben zu sein, verlassen zu müssen. Vielmehr bauen Sie auf echtes, von Außenstehenden bestätigtes Wissen über Ihr tatsächliches Ich. Sie können sich selbst nun objektiv richtiger einschätzen und dadurch Ihre Stärken besser einsetzen.

Thomas hat seine Projektpräsentation zum Anlass genommen, sich intensiver mit Selbst- und Fremdwahrnehmung zu beschäftigen. Mittlerweile weiß er, dass er mit seiner Ansicht, kein guter Redner zu sein und übermäßig aufgeregt zu wirken, falsch lag. Er ist sich sicher: Beim nächsten Vortrag wird er nicht nur von Außenstehenden als souveräner Redner wahrgenommen werden, sondern er wird den Vortrag mit dem Wissen halten, dass er dies auch tatsächlich ist. Er hat seinem Chef bereits vorgeschlagen, bei der nächsten Veranstaltung einen weiteren Vortrag zu halten. Und: Er freut sich darauf!

Nehmen Sie die Unterstützung eines Coachs in Anspruch!

Ein Coach kann Sie nicht nur bei der Bestimmung Ihres Selbst- und Fremdbildes sehr gut unterstützen, sondern er begleitet Sie auch beim anschließenden Prozess der Selbstreflexion, bei der Angleichung von Selbst- und Fremdbild sowie beim zielgerichteten Einsatz Ihrer Stärken. Gerne stehe ich Ihnen als Coach zur Seite. Sprechen Sie mich an!

Bildnachweis: ©istockphoto.com/MaleWitch

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