Während Patrick Lange beim diesjährigen Ironman Hawaii einen Streckenrekord aufstellte und Ironman Weltmeister 2017 wurde, war ich bei meinem eigenen Saisonhöhepunkt leider nur Zuschauer. Zu viel Ehrgeiz im Training hatte sich gerächt und meine Pläne vereitelt. Lesen Sie in diesem Blogbeitrag, wie ich meinen inneren Dämonen traf.
Häufig wurde ich in den letzten Monaten gefragt, warum ich für einen Langdistanz-Triathlon trainiere. Vor einigen Wochen hatte ich eine unerwartete Gelegenheit diese Frage ganz individuell für mich selbst zu hinterfragen. Es war ein lauer noch früher Morgen im August. Der Wecker hatte gerade angefangen auf sich aufmerksam zu machen. Noch etwas müde begann ich im Kopf den Tag und vor allem die anstehenden Trainingseinheiten zu strukturieren. Tägliche Routine sozusagen. Ein Jahr gezielte Vorbereitung lag bereits hinter mir und ich war zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt des Trainingsumfangs angekommen. Noch sieben Wochen trennten mich von meinem Saisonhöhepunkt, dem Ironman Barcelona.
Die Sonne erwärmte bereits die Wohnung und durch das offene Fenster zog die frische Morgenbrise herein. Ich wollte mich gerade aufsetzen, streckte meine Arme nach oben und zog die Schultern hoch, als plötzlich ein Ruck meines Armes in Begleitung eines sich schlagartig in meiner Schulter ausbreitenden Schmerzes bemerkbar macht. Die Erkenntnis, was passiert war, erschloss sich mir blitzartig. Ich hatte mir die rechte Schulter ausgekugelt. Das kann nicht wirklich wahr sein, war mein erster Gedanke. Mit dem Auskugeln dieser Schulter hatte ich bereits einige Erfahrung gemacht, auch wenn das letzte Ereignis dieser Art bereits mehrere Jahre zurücklag. Eine Vorahnung über die Konsequenzen für meinen Wettkampf beschlich mich.
Frustriert und von Schmerzen gekrümmt versuchte ich mich aufzusetzen und den Oberkörper in eine aufrechte Position zu bringen. Sehr besorgt wurde ich von meiner Frau angeschaut. „Was ist passiert, was soll ich tun?“. Die Diagnose war einfach, dachte ich mir. „Ich hab mir die Schulter ausgekugelt“ presste ich hervor. Ich zog mich mit einem Arm hoch, unfähig den anderen zu bewegen. Langsam und in gebückter Haltung schlich ich den rechten Arm mit dem linken stützend nach unten und kauerte mich ans untere Ende der Treppe. Kalter Schweiß lief an mir herunter. Ein Gefühl von Enttäuschung stieg in mir auf. „Ich glaube das war es mit dem Start“ sagte ich kopfschüttelnd. Ein Rettungswagen brachte mich wenig später ins nahegelegene Krankenhaus.
Erleichterung setzte bei mir ein, als der Wagen endlich vor der Notaufnahme des Krankenhauses anhielt. Als die Seitentür aufgeschoben wurde, wartete bereits ein Rollstuhl auf mich. „Ich kann laufen“, sagte ich zu den drei Notfallhelfern. Ablehnung in den Gesichtern und eindeutige Gestik ließen keine weitere Diskussion zu. Ich setzte mich widerstandslos in den Rollstuhl und wurde ins Innere des Gebäudes geschoben.
Es folgte die für eine solche Situation typische Routine aus Anmeldung, der ersten Untersuchung, Röntgenaufnahmen und schließlich der Diagnose mit der Vorbereitung der Behandlung. Was in meinem Fall die Re-Positionierung der Schulter unter Vollnarkose bedeutete. Dieser Tatsache bewusst und gleichzeitig sehnlich erwartend ließ ich die Prozedur über mich ergehen. Brachte mich doch jeder Schritt näher an eine Befreiung von den Schmerzen. Ich fühlte mich wie ein Ball in einem Flipperspiel. Jede Station bedeutet Bewegung und damit Schmerz und das Ziel war ein Loch, in dem der Flipperball zur Ruhe kommen kann.
Zum Glück gab es keine weiteren Verletzungen im Schulterbereich, welche als Begleiterscheinung in Form möglicher Sehnen- oder Muskelabrisse durchaus auftreten können und weitere Operationen zur Folge haben können. Dennoch war ich zu zwei Wochen Trainingspause gezwungen und konnte danach meine Schulter noch nicht direkt voll belasten. Der gesamte Heilungsprozess inkl. Kraftaufbau erstreckte sich in der Folge über zwei Monate. Zwar gab ich nicht ohne weiteres auf und trainierte angepasst weiter, lies mich physiotherapeutisch behandeln und entwickelte ein unterstützendes Krafttraining. Schließlich waren es ja noch einige Wochen bis zum Renntag. Eine Rennsimulation zwei Wochen vor dem Wettkampf zeigte jedoch schonungslos die Schwächung auf und ließ die Vernunft die Oberhand behalten. Es bewahrheitete sich also, was ich kurz nach dem Unglück schon vermutet hatte. Eine Teilnahme beim Ironman Barcelona stellte zu diesem Zeitpunkt eine zu große Belastung und damit ein zu großes Risiko dar. Der Moment kam für mich nicht überraschend, daher hielt sich die Enttäuschung zu diesem Zeitpunkt in Grenzen. Die Bilder aus Barcelona über die Vorkommnisse einer möglichen Unabhängigkeit Kataloniens wirkten ebenfalls milde stimmend, schließlich hatten wir noch einige Tage Urlaub in Barcelona geplant.
Rückblickend betrachtet und mich dabei selbst kritisch hinterfragend, war ich sehr starr auf das Training und mein Ziel fixiert gewesen. Ich war in einem Tunnel, dessen Ausgang der Wettkampf war. Warnsignale meines Körpers habe ich teilweise ignoriert und mit Sturheit weiter trainiert. Müde Beine gehörten in dieser Zeit einfach zum Alltag und waren daher nicht ungewöhnlich. Wie die Erfahrung zeigt, ist mehr doch nicht immer mehr. In Zukunft werde ich daher auf meine innere Stimme hören und Hinweise meines Körpers nicht einfach ignorieren. Ich werde mehr auf mich selbst achten und zum Beispiel häufigere und qualitativ hochwertigere Ruhephasen einbauen. Mit meinen inneren Dämon des Antriebs zu mehr Leistung hab ich einen Weg gefunden, wie er mir hilfreich zur Seite stehen kann. Schließlich betreibe ich Sport hauptsächlich um gesund zu bleiben.
Bildnachweis: ©istockphoto.com/Kamadie